Institut für Rehabilitationspädagogik Körperpädagogik
Insgesamt zeigt Marcel ein starkes Kommunikationsbedürfnis,
ist aber aufgrund seiner persönlichen Voraussetzungen nicht in der Lage,
eine zufriedenstellende Kommunikation zu führen.
Er ist stets auf die Interpretation, das Bemühen und auch das Wissen
seines Gegenübers angewiesen.
Wenn es auf dem Hof von Marcels Eltern etwas zu tun gibt, ist er immer mit dabei. Egal ob etwas repariert werden muss, die Tiere gefüttert werden oder eine andere Aktivität ansteht. Besonders mit seinem Papa werkelt der neunjährige Marcel am liebsten den ganzen Tag herum und äußert sich zu allem, was um ihn herum passiert, sehr freudig und offen. So wird von ihm der Bagger als BrummBrumm bezeichnet, wenn er müde ist, berührt er mit der Handfläche seine Wange und wenn er einmal nicht weiter weiß, klopft er sich mit der Faust leicht auf den Kopf. Seine Eltern sowie seine nahen Bezugspersonen wissen Marcels Art der Kommunikation zu verstehen, und falls es doch einmal zu einem Missverständnis kommen sollte, packt Marcel seine Kommunikationspartner:innen leicht am Arm und geleitet diese zum Gegenstand seiner Begierde. Wenn Marcel sich also den Bauch streichelt und sein Gegenüber nicht reagiert, zieht er diesen zum Kühlschrank. Denn den Bauch streicheln bedeutet für Marcel, dass er jetzt Hunger hat und etwas essen möchte. Am liebsten kommuniziert Marcel über alles, was um ihn herum passiert. Manchmal passiert für ihn sogar zu viel auf einmal und es ist gar nicht so einfach für ihn, seine Aufmerksamkeit lange bei einem Gegenstand zu belassen – es gibt so viel zu entdecken! Wenn auf dem Hof von Marcels Eltern geschlachtet wird, kennt er die Abläufe schon ganz genau und zeigt mit von Lauten begleiteten Gesten stets an, was der nächste Schritt ist.
Marcels Kommunikation: |
Unsere Übersetzung: |
„bou“ |
„naja, nein, jein“ |
„giug“ |
„trinken“ |
„eima“ |
„einmal“ |
„gougup“ |
„Sandmann“ |
„brummbrumm“ |
„Bagger“ |
Klopfen auf Kopf |
Frage |
Schnipsen |
Reiten |
Hand auf Wange |
Schlafen |
Bauch streichen |
Hunger |
Mit Zeigefinger zeigen |
Hierher |
Sein großes Kommunikationsbedürfnis versucht Marcel mit seinen körpereigenen Gesten und Lauten bestmöglich zu befriedigen. Trotzdem ist er stets auf die Interpretationen und Bemühungen seines Gegenübers angewiesen. Diese kommunikative Abhängigkeit von seinen Kommunikationspartner:innen und die Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl an Zeigegesten sind für das weitreichende Sprachverständnis von Marcel jedoch nicht ausreichend. Aus diesem Grund haben sich Marcels Eltern auf Anraten seiner Kinderärztin dazu entschlossen, mit ihrem Sohn einen Termin in der Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation zu vereinbaren. Den konkreten Anlass für die Beratung bildete Marcels bevorstehende Einschulung und das Wissen, dass ihn damit auch völlig neue Kommunikationssituationen erwarten.
Die Vorbereitung auf die neue Kommunikationssituation Schule
„Marcel versteht viele Begriffe und einfache Ansprachen. Sein passiver Wortschatz ist wesentlich größer als sein aktiver, sodass er sich nicht entsprechend seines Verständnisses ausdrücken kann.“[2]
Um Marcel bestmöglich auf die neuen Kommunikationssituationen in der Schule vorzubereiten, haben sich Marcel und seine Eltern im Mai 2018 in der Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation mit Frau G., der Beratungslehrerin vor Ort getroffen. Auf Frau G. hat Marcel einen sehr freundlichen und interessierten Eindruck gemacht. Besonders motiviert zeigte er, was für ein großes Verständnis er für Situationen und Abläufe auf dem Hof seiner Eltern hat. Häufig, wenn Marcel einen beziehungsreichen Sachverhalt darstellen wollte, ist er auf Zeigegesten umgestiegen, um komplexer kommunizieren zu können und besser verstanden zu werden. Durch seinen aktiven lautierenden und gestikulierenden Einsatz im Gespräch hielt Marcel die Kommunikation ganz natürlich und ungezwungen am Laufen. Er zeigte deutlich, dass er mit einem/einer Partner:in über Dinge kommunizieren kann und nutzte häufig den sogenannten triangulären Blick[3] als Kommunikationsanlass. Ebenfalls forderte er seine Bezugspersonen zu Handlungen auf, indem er sie an der Hand zu einem Objekt zog oder auf ein Objekt zeigte.
Der Fokus der ersten Beratung lag vor allem darauf, dass Marcels Möglichkeit zur Teilhabe mit seinen körpereigenen Kommunikationsmöglichkeiten erfasst wird, um diese auf die Passungsfähigkeit mit den Anforderungen der Schuleingangsphase zu prüfen. Als erstes Ziel wurde festgehalten, dass Marcel sich auch in der Schule durch die Förderung der körpereigenen Kommunikationsformen gezielt ausdrücken kann, um an allen schulischen Aktivitäten genauso aktiv teilhaben zu können, wie er es bereits in seinem häuslichen Umfeld tut. Um an Marcels reges Aufzeigen von Gesten anzuknüpfen und dieses zu fördern, sollten neue, auf den Schulkontext bezogene Gebärden spielerisch in Marcels bereits vorhandenen Gestenwortschatz integriert werden. Durch das lautsprachliche Begleiten der Gebärden soll Marcels Kommunikationsinteresse noch weiter geweckt werden. Seine Möglichkeiten vielfältiger Kommunikation sollen sich erhöhen. Zudem ist die lautsprachliche Begleitung der Gebärden wichtig für die Kommunikation mit Menschen, die keine Gebärden verstehen.
Um zu gewährleisten, dass Marcel auch in der Schule bestmöglich in seinen kommunikativen Bestrebungen unterstützt wird und um einen Kontakt für eine Zusammenarbeit herzustellen, sandte Frau G. nach dem Beratungstermin folgende E-Mail an Marcels zukünftige Schulleiterin.
„Sehr geehrte Frau H.,
Ich möchte Sie kurz über einen Schüler der zukünftigen ersten Klasse Ihrer Schule informieren. Als Beratungslehrerin für Unterstützte Kommunikation hatte ich über Frau R. bereits Kontakt zu Ihrer Schule. Im Frühjahr 2020 war Marcel mit seinen Eltern in der Beratungsstelle, um elektronische Kommunikationshilfen auszuprobieren. Mit seiner Mutter bin ich seit 1,5 Jahren in Kontakt, um uns bezüglich Sprachentwicklung und allgemeiner Entwicklung auszutauschen. Marcel kommuniziert über einzelne Wörter (teilweise schwer verständlich) und Gesten, welche kontextabhängig von Bezugspersonen verstanden werden können. Dies ist jedoch für sein Kommunikationsbedürfnis und Sprachverständnis nicht ausreichend. Die Erprobung von komplexen elektronischen Kommunikationshilfen verlief erfolgreich und kann unterstützt werden. Wir haben in der Diskussion jedoch entschieden, den Anreizen mit dem Schulbesuch zunächst noch Raum für die weitere lautsprachliche Entwicklung zu geben, eine Versorgung zunächst wieder aufzuschieben und wenn weiterhin notwendig mit der Schule anzugehen. Zielstellung für eine Versorgung wäre aus heutiger Sicht: sich gezielter ausdrücken zu können, dadurch höhere Teilhabe im Unterricht zu erreichen und in guten Kontakt zu seinen Mitschüler:innen zu gelangen.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diese Informationen an das Klassenteam weiterleiten würden. (…)
Mit freundlichen Grüßen
Frau G. (Beratungslehrerin UK)“[4]
Marcels Kommunikation in der Schule
„Kennt der Gesprächspartner die individuellen Gesten und Laute nicht, ist eine Kommunikation kaum möglich.“[5]
Nach der Einschulung im August 2018 hat für Marcel, wie für alle neuen Schüler:innen, eine aufregende Zeit begonnen. Der neue Schulweg, neue Freund:innen und viele neue Pädagog:innen als Bezugspersonen treten auf einmal in das Leben der Kinder und tragen dazu bei, dass sich der bisherige Alltag komplett verändert. Trotz der großen Veränderungen durch die Einschulung zeigt Marcel sich meist fröhlich, aufgeschlossen und interessiert. Das Nachahmen von Tierlauten ist für ihn und seine Mitschüler:innen ein lustiges Spiel geworden. Dabei ist Marcel besonders gewissenhaft und konzentriert, damit die anderen seine Imitationen verstehen und ihm eine positive Rückmeldung geben. Genau wie zuhause ist er auch in der Schule sehr gerne draußen unterwegs und beobachtet die facettenreiche Natur auf dem Pausenhof ganz genau. Doch nicht nur in der großen Pause ist Marcel gerne aktiv. Auch wenn es um verbale Gespräche und andere Kommunikationsanlässe im Klassenzimmer geht, reagiert er stets sehr aktiv und ermutigt auf Inhalt, Aufträge und Fragen von Lehrer:innen und Mitschüler:innen. In diesen Gesprächen setzt er alle ihm zur Verfügung stehenden kommunikativen Möglichkeiten parallel ein, kommentiert, äußert Wünsche und erzählt umfangreich. Eine typische Kommunikationssituation in der Schule kann z.B. so aussehen:
Klassenlehrerin Frau R.: „Hallo Marcel, hast du dein Pausenbrot schon aus deinem Ranzen geholt? Wir wollen jetzt ein Frühstück machen.“
Marcel: „Eeeee! Ohhhh! Jaaaa! „Baus“. Marcel klopft aufgeregt mit der Handfläche gegen seinen Kopf und zeigt auf seinen Ranzen. Dabei klopft er sich mit der anderen Hand auf den Bauch. Er läuft schnell los, um sein Pausenbrot zu holen.
Obwohl Marcel sich basal in der Schule verständigen kann, ist eine (beidseitig) zufriedenstellende Kommunikation zum Großteil noch vom Einfühlungsvermögen und den kommunikativen Fähigkeiten seiner Gesprächspartner:innen abhängig. Diese Abhängigkeit wird dann zur Herausforderung, wenn die Gesprächspartner:innen diese Aufmerksamkeit und Sensibilität mit Marcels Art zu kommunizieren nicht leisten können. Dies ist häufig bei Marcels Mitschüler:innen der Fall, was oft zu Missverständnissen führt. Um solchen Missverständnissen entgegenzuwirken, beschränkt sich Marcel selbst meist auf allgemein bekannte und leicht zugängliche Inhalte. Diese Beschränkung wird jedoch seinem Kommunikationsbedürfnis nicht gerecht und viel Gedachtes und Gefühltes bleibt, so Frau R., unkommuniziert. Während der gemeinsamen Unterrichtsstunden hat Frau R. Marcel sehr genau beobachtet und ihn als fröhlichen Teil der Lerngruppe kennengelernt und erkannt, dass sein Mitteilungsbedürfnis weitaus größer ist, als die ihm zur Verfügung stehenden Kommunikationsmöglichkeiten. In einer Stellungnahme beschreibt sie ihn folgendermaßen:
„Marcel ist ein freundlicher Schüler, der seine Umwelt meist aufmerksam beobachtet. (…) Er äußert sich vor Allem über Lautäußerungen, Zeigebewegungen und einigen Gesten. (…) Marcel nutzt einige wenige schwer verständliche Wörter. (…) Marcel wiederholt keine Laute und Wörter, auch nicht ansatzweise. Das Bilden von Wörtern fällt ihm schwer und bleibt vom Umfang her auf einem Stand stehen. Nach einem epileptischen Anfall oder anderer gesundheitlicher Beeinträchtigungen wurde auch beobachtet, dass einige Laute oder Geräuschnachahmungen nicht abrufbar waren und erst wieder erlernt werden mussten. Das Verwenden von Gebärden gelingt nicht. Marcel nutzt eigene Gesten, deren Bedeutung die Kommunikationspartner kennen müssen. Fremde Gebärden (Wie beispielsweise die deutsche Gebärdensprache) nimmt Marcel nicht an. Es ist äußerst schwierig, einen Blickkontakt zu Marcel herzustellen sowie Gebärden so zu zeigen, dass er diese wahrnimmt. (…) des Weiteren reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht aus, um sich mitteilen zu können. Sein passiver Wortschatz ist wesentlich größer als sein aktiver, sodass er sich nicht entsprechend seines Verständnisses ausdrücken kann.“[6]
Um Marcel zusätzlich in seiner Kommunikation zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass sein Kommunikationsbedürfnis Ausdruck finden kann, hat Frau R. sich im November 2019 wieder an Frau G. von der Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation gewandt, um eine weiterführende Zusammenarbeit vorzuschlagen.
„Liebe Frau G.,
Es geht um meinen Schüler Marcel. Er war schon einmal bei Ihnen und ich habe in den Unterlagen gefunden, dass Ihre Empfehlung die Förderung der körpereigenen Ausdrucksformen war. Marcel ist jetzt in der 2. Klasse. Er hat zwar viel gefehlt, aber wir haben versucht die körpereigenen Ausdrucksformen zu fördern. Haben beispielsweise Gebärden angeboten und versucht, das Nachsprechen/Lautieren anzuregen. So richtig kommen wir nicht weiter und ich würde mich einfach über Anregungen in dieser Hinsicht freuen und mit Ihnen besprechen, ob unterstützende Formen im Rahmen von Bildkarten/Symbolen/Kommunikationshilfen sinnvoll wären und in welcher Form.
Herzlichen Dank und viele Grüße Frau R.“[7]
Neue Bestrebungen im Hinblick auf eine elektronische Kommunikationshilfe
„Da seine Lautsprache sehr schwer zu verstehen ist, muss Marcel häufig auf Zeigegesten, „eee“ und Handlungen ausweichen“[8]
Besonders an bunten Kindertagen kann das Leben sehr aufregend sein. Wenn man zum Beispiel einen Frosch auf dem Gehsteig sitzen sieht, kann der Schulweg schnell zum Abenteuer werden. Diese abenteuerlichen Erfahrungen werden noch bunter und spannender, wenn man diese mit jemandem teilen kann. Nach einem ereignisreichen Wochenende gibt es so viel zu berichten und mit seinen Freunden zu klären. Meistens reicht nicht einmal die Hofpause aus, um all die spannenden Dinge zu berichten, die einem widerfahren sind. Ein solch ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis hat auch Marcel. Freudig lautierend und gestikulierend kommt er nach einem Wochenende voller Eindrücke in die Klasse gelaufen. Viele seiner Gesten und lautsprachlichen Äußerungen kennen die Schüler:innen seiner Lerngruppe schon und sie können ganz selbstverständlich darauf reagieren. So ist zum Beispiel klar, dass Marcel, wenn er schnipst, am Wochenende reiten war, oder wenn er ganz aufgeregt von „goupgoup“ erzählt, dass er sich über den Inhalt der letzten Sandmannfolge unterhalten möchte. Doch Marcel bietet seinem Umfeld auch sehr viele Gesprächsanlässe an, die nicht so einfach zu verstehen sind. Einige Gesten und Gebärden, die für Marcel und seine Familie zum Alltag gehören, sind für Marcels Mitschüler:innen sehr schwer zu interpretieren. Da Marcel so gerne mit den verschiedenen Personen in seinem Umfeld kommuniziert, bleibt er meist bei den gewohnten Gesten und Lauten, um inhaltlich verstanden zu werden. Jedoch ist das Gewohnte nicht immer das aktuell Wichtige und Marcel erlebt dadurch eine erhebliche Einschränkung in der freien Wahl seiner Gesprächsthemen. Aus diesem Grund hat sich Frau R. im November 2019 wieder mit Frau G. von der Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation in Verbindung gesetzt. Es sollte ein zweites Treffen mit Marcel vereinbart werden. Bei diesem zweiten Treffen sollten nichtelektronische Kommunikationshilfen wie das Kommunikationsbuch „Zeig es – sag es!“ ebenso erprobt werden, wie eine komplexe Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe.[9] Das besondere an der komplexen Kommunikationshilfe ist, dass auch eine Grammatik möglich ist und man aus über 1000 Worten auswählen kann. Durch ein solch großes Vokabular, welches universal verständlich ist, wären für Marcel komplett neue Kommunikationssituationen und Themen möglich. Komplexe Kommunikationshilfen mit Sprachausgabe könnten Marcels Grad der Teilhabe durch gezielte Kommunikation erheblich erhöhen. In der folgenden Übersicht sind die Ergebnisse der Erprobung zusammengestellt.[10]
Kommunikationsbuch „Zeig es – sag es!“ |
Komplexe Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe |
+ Marcel erfasst Symbole und deren Aussagen rasch |
+ Marcel richtet seine Aufmerksamkeit auf das Gerät und Kommunikationssituation |
+ er zeigt auf einzelne Symbole und lautiert freudig dazu |
+ er arbeitet und kommuniziert ausdauernd, zielgerichtet und konzentriert -> gutes Verständnis |
- gezieltes Blättern im Buch wegen feinmotorischer Einschränkungen schwierig |
+ er nutzt die Aussagen für Kommentare und nimmt Blickkontakt auf -> wird verstanden |
- Umfang an möglichem Wortschatz zu gering |
+ er drückt Felder gezielt, um von sich und Interessen zu erzählen |
|
+ er erfasst rasch den dynamischen Aufbau; versteht Symbole und Struktur |
+ er navigiert sich sicher in verschiedenen Kategorien wie Pflanzen, Tiere, Werkzeuge, Küche |
|
+ helles Display und interaktive Ansprache motiviert und aktiviert -> Aktivierung eines höheren Lern- und Kommunikationspotentials |
|
+ Kommunikationssoftware bietet umfangreichen Wortschatz und Aufbau einer Grammatik |
|
|
|
+ entspricht den kognitiven und motorischen Kompetenzen |
|
+ guter Lautsprecher für Nutzung in Schule und Öffentlichkeit, integrierter Ständer für praktikable und tägliche Nutzung, leichtes Gerät, um Mobilität zu erhalten |
Marcels Umgang mit einer komplexen Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe
„Marcel zeigte sich sehr motiviert und ausdauernd bei der Nutzung der Kommunikationshilfe. Freudig konnten wir beobachten, dass er gezielt nach Wörtern wie „Baum“ oder „Hammer“ suchte, nachdem ihm das entsprechende Symbol gezeigt wurde.“[11]
Schon nach einer kurzen Eingewöhnungsphase mit der komplexen Kommunikationshilfe konnte beobachtet werden, wie viel Spaß Marcel an illustrierten Worten hat. Bilder sprechen ihn stark an und motivieren ihn dazu, mit Elan etwas ausdrücken zu können, was ihm vorher durch seine begrenzte Anzahl an Lautäußerungen und Gebärden verwehrt geblieben ist. Das folgende Beispiel illustriert Marcels Umgang mit seiner komplexen Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe:
Marcel hat eine Tierfigur aus Holz aus dem Schrank geholt und diese stolz an seinem Sitzplatz aufgestellt. Dort liegt auch seine Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe schon bereit. Aufgeregt läuft Marcel zu Frau R. und tippt ihr auf die Schulter. Er hat einen Plan. Frau R. bückt sich zu Marcel hinunter und sieht ihn überrascht an. „Was ist denn los Marcel, gibt es etwas, was du mich fragen möchtest?“
Marcel zeigt auf die Holzfigur auf seinem Platz und schaut wieder zu Frau R. „Wie schön, möchtest du, dass wir zusammen etwas spielen?“ Marcel horcht auf, nickt und läuft schnell zu seinem Platz. Dort angekommen schaut er sich konzentriert seine Kommunikationshilfe an. Eifrig tippt er herum und drückt mehrere Symbole. „Ich möchte mit dir spielen.“ ertönt es aus der Kommunikationshilfe. Frau R. lacht und fragt freudig „Was möchtest du denn spielen, Marcel?“ Dieser schaut kurz zu Frau R. und dann wieder konzentriert auf seine Kommunikationshilfe. Er sucht eifrig die passenden Symbole. Einige Sekunden später ertönt eine neue Aussage aus der Sprachausgabe: „ Spielst du Bauernhof mit mir? Du bist dran!“ Mit einem breiten Lächeln beobachtet Marcel nun, wie Frau R. zu ihm an den Tisch kommt, lächelnd die Tierfigur mustert und sagt: „Ja, ich spiele sehr gerne mit dir. Welches Tier darf ich sein?“
Ausblick
Durch die dauerhafte Nutzung einer komplexen Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe können Marcels soziale Kompetenzen stark gefördert werden und zu einer sozialen und emotionalen Weiterentwicklung beitragen. Zusätzlich kann auch seine Aktivität am Unterrichtsgeschehen erhöht werden. Er kann seinem Kommunikationsbedürfnis besser nachkommen und zufriedenstellende Dialoge mit seinen Mitschüler:innen und weiteren Gesprächspartner:innen führen. Aus diesem Grund wurde für Marcel eine solche komplexe Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe bei der Krankenkasse beantragt und schließlich auch bewilligt. Marcel nutzt seine Kommunikationshilfe mittlerweile ganz selbstverständlich im Alltag und hat dadurch die Möglichkeit bekommen, selbstständiger und selbstbestimmter zu lernen und zu leben.
[1] Zitat aus der Stellungnahme hinsichtlich der Verordnung einer elektronischen Kommunikationshilfe an die Hilfsmittelfirma von Frau R., Klassenlehrerin von Marcel, vom 27.01.2020
[2] Aus der Stellungnahme hinsichtlich der Verordnung einer elektronischen Kommunikationshilfe an die Hilfsmittelfirma von Frau R., Klassenlehrerin von Marcel, vom 27.01.2020.
[3]Sog. Dreiecksverbindung vom Ich, Du und einem Gegenstand. „Kommunikation beinhaltet immer eine Dreiecks-Situation: Sie kommt von einem Ich, ist an ein Du gerichtet und bezieht sich auf etwas Drittes, d.h. auf einen Gegenstand oder später auf ein Thema.“ Vgl. Zollinger, B. "Die entwicklungspsychologische Sprachtherapie mit kleinen Kindern." Sprache, Stimme, Gehör (2014), S. 163-166.
[4] E-Mail von Beratungslehrerin Frau G. an Schulleiterin Frau H. vom 22.06.2018
[5] Aus der Stellungnahme hinsichtlich der Verordnung einer elektronischen Kommunikationshilfe an die Hilfsmittelfirma von der Klassenlehrerin Frau R. vom 27.01.2020
[6]Aus der Stellungnahme hinsichtlich der Verordnung einer elektronischen Kommunikationshilfe an die Hilfsmittelfirma von Frau R. vom 27.01.2020
[7] E-Mail von Frau R. an Frau G. vom 18.11.2019
[8] Aus dem Beratungs- und Erprobungsbericht vom 14.01.2020
[9] Eine solche Kommunikationshilfe kann man sich folgendermaßen vorstellen; Es ist ein komplexes, handliches Kommunikationsgerät mit einer Oberfläche, die wie ein Kategoriesystem funktioniert, sie ist nach Wortarten aufgebaut und es lassen sich dadurch sogar ganze Sätze bilden
[10] Übersicht aus dem Erprobungsbericht, Zitat aus dem Erprobungsbericht von Frau G.: „In der Erprobung konnte Marcel mit den Kommunikationshilfen über Vorlieben und Gedanken erzählen, die er ohne Sprachausgabegerät nicht ansprechen konnte/kann. Er war in der Lage, spontan und frei zu kommunizieren. Die Versorgung mit einer komplexen elektronischen Kommunikationshilfe für Marcels Teilhabe an familiären und schulischen Aktivitäten und Entwicklung verständlicher Kommunikation ist zwingend erforderlich.“[10]
[11] Ebd.